DEUTSCHES ARCHIV
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PETER HÜBNER • PREIS DER FREIHEIT – DAS PROGRAMMIERTE VIERTE REICH
Die antidemokratische politische Praxis in Deutschland
Teil 2   •   DIE DEUTSCHE KULTURSTIFTUNG
Die Deutsche Kulturstiftung in der staatsfreien Zone


Schließ­lich muß­te der ge­knick­te Ber­li­ner Groß­stadt­rich­ter – nach ei­nem kur­zen Ver­schwin­den mit den Schöf­fen hin­ter die Ku­lis­se – im dörf­li­chen Kas­sel mit klein­lau­ter Stim­me, sei­nen Blick im­mer nur eif­rigst auf das vor ihm auf dem Rich­ter­tisch lie­gen­de Blatt ge­rich­tet – we­der mich noch mei­nen An­walt, noch die Staats­an­walt­schaft, noch den ad­ret­ten pres­sa­len Be­las­tungs­zeu­gen, noch das gan­ze Pub­li­kum auch nur ei­nes Bli­ckes wür­di­gend –, vor al­ler Au­gen und Oh­ren den „Frei­spruch“ ver­kün­di­gen.
Die gan­ze kon­zer­tier­te Hoch­rech­nung war wohl ohne je­ne un­schul­di­gen und of­fen­sicht­lich noch gar nicht rich­tig ein­ge­eich­ten nord­hes­si­schen Schöf­fen auf­ge­macht wor­den.

Als ich mich am Schluß von dem fru­strier­ten Rich­ter ver­ab­schie­de­te, ihm da­bei die Hand reich­te und mich bei ihm für die in­te­res­san­te Ver­hand­lung be­dank­te, da starr­te er im­mer­fort nur mit grim­mi­gem Ge­sicht auf sei­nen Schreib­tisch und wag­te mich nicht ein­mal an­zu­se­hen – um mich wohl nicht un­nö­tig zu er­schre­cken.

Da­bei konn­te ich mich des Ge­dan­kens nicht er­weh­ren, daß sehr viel mehr hin­ter die­ser gan­zen An­ge­le­gen­heit ge­steckt hat­te und daß dem Rich­ter aber die Na­tur auf der Ebe­ne sei­nes Be­wußt­seins ei­nen mäch­ti­gen Streich ge­spielt hat­te, in­dem sie ihn sich völ­lig ver­ges­sen ließ – wo­bei er dann schwe­re rich­ter­li­che Form­feh­ler be­ging, wohl wis­send, daß er sich mit die­sen den Ein­stieg in ein neu­es Ver­fah­ren nicht leis­ten konn­te.

Im Film ha­be ich ein­mal do­ku­men­ta­ri­sche Sze­nen aus dem Volks­ge­richts­hof un­ter der ex­em­pla­ri­schen selbst­herr­li­chen Füh­rung sei­nes da­ma­li­gen Prä­si­den­ten Freisler ge­se­hen, die mich – bei al­ler jet­zi­gen Be­lu­sti­gung – doch sehr an das Ge­ba­ren des Rich­ters wäh­rend die­ser Kas­se­ler Ge­richts­ver­hand­lung er­in­ner­ten.
Nur war ich mir hier dar­über im kla­ren, daß es sich um ei­nen Men­schen han­del­te, der be­wußt­seins­mä­ßig ganz un­er­war­tet völ­lig aus den Fu­gen ge­ra­ten war – wes­halb mir in die­sem Fal­le die gan­ze Sze­ne auch äu­ßerst be­lu­sti­gend er­schien und ich mich bei­na­he da­zu ver­führt sah, mich mit den an­de­ren in ge­wis­ser Freu­de an sei­nen un­kon­trol­lier­ten höchstri­cher­lichen Ex­plo­si­o­nen zu wei­den.







Mit freundlicher Genehmigung des HESSISCHEN LANBOTEN
© 1998-